Traumpaarspiel
home

 

more than books  
 

impressum

 

 

   
 

 

PRESSESTIMMEN zu "REPORTAGE - COMICS" 
eine Ausstellung des Büro für Kunst, zeitraum_exit, in Mannheim. (3.Dez. 2006 - 27. Jan. 2007)


Bericht einer Reise im Sitzen

Das Genre der Comics, dieser gezeichneten Geschichten, hat charakteristische Techniken in einer immensen Vielfalt von Stilvarianten entwickelt. Als allgemein verbindlich gelten die Gliederung der Seite in fortlaufende Bilderstreifen, Sprechblasen, dynamische Wechsel von Nah- und Fernsicht, unterschiedliche, zum Teil auch extravagante Perspektiven. Neben erzählenden Comics gibt es auch solche mit Reportage-Charakter. Nur um diese Reportage-Comics geht es in einer Ausstellung von Zeitraum_Ex!t in Mannheim. Die Zeichner Oliver Grajewski, Ulli Lust, Yves Noyau, Kai Pfeiffer, Pierre Thomé stehen für eine aktuelle Bandbreite.

Der Zeichnung widmet Zeitraum_Ex!t besondere Aufmerksamkeit, sind doch drei ihrer vier Macher selbst in erster Linie Zeichner, wenn sie sich auch auf einer anderen Wellenlänge als die Comic-Zeichner bewegen. Die nämlich müssen sich an Regeln halten, deren eine eine wiedererkennbare Figuration ist. Für Reportage-Comics gilt diese Regel noch rigoroser. Die drei in der Ausstellung vorgestellten deutschen Zeichner leben in Berlin, das sich als Comic-Zentrum etabliert hat.
Die aus Österreich stammende Ulli Lust folgt in einer umfangreichen Arbeit über das Abrissviertel Halle-Neustadt der traditionellen Fotoreportage. Die Rückbaustadien zeichnet sie nüchtern wie ein Architekt. Zwischen diese Stadien wiederum sind Anwohner-Debatten eingeschoben, in denen die Zeichnerin in Rückenansicht als interviewende Reporterin persönlich auftritt. Ulli Lusts Reportage ist während eines Arbeitsstipendiums des Bauhauses Dessau entstanden. Ihr fehlt nichts, was man von einer Fotoreportage erwartet, aber sie hat dieser doch einiges voraus. In die Bilder, ganz besonders in die Charaktere und Sprechblasen der Debatten, ist nämlich so viel ostdeutsche Befindlichkeit und Alltagsrealität gepackt, wie sie ein Fotojournalist schwerlich zustande bringen würde. Die Zeichnerin bündelt Stimmungen, Redensarten, spontane Äußerungen und Gefühle. Sie kreiert die zu ihnen passenden Typen und gliedert Vielzahl durch grafische Mittel. Ein Fotojournalist hingegen ist gezwungen, sich auf wenige Gesprächspartner zu beschränken, die dann auch nicht so umfassend repräsentativ sind.

Wie anders man mit dem gleichen Thema umgehen kann, zeigt eine auf Architektonisches beschränkte Arbeit von Kai Pfeiffer. Sein Glanzstück ist jedoch „Wien: Im Kaffeehaus - Bericht einer Reise im Sitzen". Es kommt ohne jeden Text aus und wird als Flash-Animation präsentiert. Das bringt eine verblüffende Dynamik in einen vergleichsweise statischen Gegenstand. Der Zeichner erwandert sich die Fläche, indem er sie in Arbeitsschritten füllt. Er erwandert sich den Raum des Kaffeehauses, indem er unbewegliche Motive wie leere und besetzte Tische von verschiedenen Seiten einkreist, heranholt oder wegschiebt. Und er erwandert sich Charaktere und Tätigkeiten, indem er zum Beispiel einen Kellner in wechselnden Haltungen in die Fläche hineinflasht. Kai Pfeiffer erwandert sich sogar den Geist des Kaffeehauses, wenn er mit Tassen, Stühlen und Kellnern jongliert, bis die Fläche allüberall gefüllt ist.

Oliver Grajewski präsentiert Ausschnitte aus seiner Serie „Die Natur ist nicht schlecht, sie ist nur voll" als eine Dia-Schau. Rund 140 Strips in dem Format, wie es gern von Zeitungen gedruckt wird, hat er dazu gezeichnet. Zündend ist nicht nur der jeweilige Einfall, sondern nicht minder der zu diesem passende Zeichenstil. Oliver Grajewski beherrscht offenbar alles, was zeichnerisch existiert, und unterwirft es seiner jeweiligen Aussageabsicht.

Die beiden in der Ausstellung vertretenen Schweizer drücken sich introvertierter in Form von Tagebüchern aus. Pierre Thomé hat für seine China-Reise ein chinesisches Skizzenbuch aus Reispapier gewählt. Stilistisch nehmen seine Darstellungen von Stadtarchitektur und Volksleben Anregungen aus der traditionellen chinesischen Tusche-Zeichnung auf. Yves Noyau zeichnet ebenfalls Reiseeindrücke, aber nicht in ganzseitigen Skizzen wie Pierre Thomé, sondern in subjektiv erzählenden Bildstreifen. Er zeichnet spitz und dünn und hauptsächlich mit Bleistift. Von anderen Reisen hat Pierre Thomé gezeichnete Postkarten mit geschriebenem Text an eine Freundin geschickt.

Heike Marx
Die Rheinlandpfalz vom 06.01.2007

 

Weg vom komischen Streifen

Stimmengemurmel erfüllt den in kitschiges Rosa gehaltenen Raum, untermahlt vom leisen Klappern des Geschirrs. Ab und an bringt ein beflissener Kellner ein neues Tässchen Kaffee an den Tisch. Langsam wird es spät: Den ersten weintrunkenen Gästen sinkt der Kopf auf den Tisch, während die Bedienungen verstohlen zu gähnen beginnen. Immer mechanischer und drängender werden die Geräusche – was Stunden zuvor noch plüschige Behaglichkeit war, bekommt plötzlich klaustrophobische Züge. Diese typische Wiener Kaffeehausszene hat der Berliner Zeichner Kai Pfeiffer eingefangen: In rascher Folge wechseln in seiner mit O-Tönen unterlegten Projektion Stimmungsbilder und flüchtige Eindrücke ab. Der Mitherausgeber des Magazins „Plaque" ist einer der Pioniere der Comic-Reportage im deutschen Sprachraum und zugleich Vertreter einer neuen Form des Comic Genres: eben der Reportage.

Bereits seit einigen Jahren lässt sich in den Hochburgen Belgien, Frankreich, Nordamerika und Kanada eine Tendenz zu biografischen und gesellschaftskritischen Themen beobachten. In den Räumen des ehemaligen Mannheimer Gesundheitsamtes präsentiert nun das Büro für Kunst zetraum_ex!t eine hochkarätig besetzte Ausstellung mit Zeichnungen der Künstler Pierre Thomé, Oliver Grajewski, Noyau, Kai Pfeiffer und der Künstlerin Ulli Lust: weder Superhelden noch Micky Mäuse, sondern eine spannende Mischung aus Skizzen, Reisetagebüchern, Momentaufnahmen und (teils sehr persönlichen) Reflexionen.

Klassisches Beispiel ist die Reihe „Wer bleibt – Comicreportage aus Halle-Neustadt" von Ulli Lust. Die Zeichnungen der Berlinerin beruhen auf ausführlichen journalistischen Recherchen, die auch ganz alltägliche Beobachtungen einschließen. „Das uramerikanischste Beinkleid von allen, die Jeans, hat Neustadt ganz und gar erobert. Die Röhrenjeans, die gerade in Berlin und London so en vogue ist, tragen hier die 30 – bis 50.Jährigen gerne mit Jeansjacke, was immer ein wenig verwegen wirkt," schreibt sie zum Beispiel neben die Zeichnung eines Kinderwagen schiebenden Pärchens. Fast schon malerische Qualitäten haben dagegen die während einer Chinareise entstandenen Tuschearbeiten von Pierre Thomé. Mit leichtem kalligraphischen Strich skizziert der Leiter des Studienbereichs Illustration an der Luzerner Hochschule für Gestaltung und Kunst Eindrücke wie typische Straßenszenen.

Im Zeitalter moderner Medientechnologie verlassen die Zeichnungen auch schon mal das konventionelle weiße Blatt. „Die Natur ist nicht schlecht, nur voll", titelte beispielsweise Oliver Grajewski seine wandfüllenden Projektionen, in denen er die Mythen der Alltagskultur und Werbung aufgreift: Seine inzwischen über 100 Sequenzen umfassende und über mehrere Jahre hinweg entstandenen Serie ist bevölkert von seltsamen Monstern, „Kackmännchen", Castorgegnern, stürzenden Pferden und Schlagersängern. Der Absolvent der Berliner Hochschule für Bildende Künste ist Herausgeber der Heftserie „Tigerboy" du veröffentlicht unter anderem in der Süddeutschen Zeitung, der Berliner Zeitung und der taz.

„... Ich habe bellende Hunde gezeichnet und sobald sie genug detailreich waren, fingen sie an meine Finger zu beissen. Wahrscheinlich zu deutlich für Sigmund. Küsschen Yves." Dieser Postkartentext nebst einem locker skizzierten Sigmund Freud stammt aus der Feder des Züricher Zeichners Yves Noyau, dessen Reiseerzählungen unter anderem in Wien, Tolyo, Südafrika und Istanbul entstanden. Seine dokumentarische Illustration belegt einmal mehr, wie weit sich die Szene von den klassischen „komischen Streifen" entfernt hat – und das alles andere als zu ihrem Nachteil.

Scala 01. 2007

 

Streifen mit Niveau

Eine Comic-Ausstellung ohne Micky Mäuse und Superhelden präsentiert das Büro für Kunst ‚zeitraum_ex!t’ derzeit in den Räumen des ehemaligen Mannheimer Gesundheitsamts. Zu sehen ist eine teilweise sehr persönliche Mischung aus Skizzen, Reisetagebüchern, Momentaufnahmen und Reflexionen der Künstler Pierre Thomé, Oliver Grajewski, Noyau, Kai Pfeiffer und der Künstlerin Ulli Lust.

„Travelling here around?" – "No! We are invited sto stay here by this Comic Festival!" – "Ah! Bitterkomix!" "Hee …. Yes!" (They are so fucking famous!!) – Dieser Dialog zwischen zwei Unbekannten in einer Bar stammt aus der Feder des Züricher Zeichners Yves Noyau, dessen Reiseerzählungen unter anderem in Wien, Tokyo, südafrika und Instanbul entstanden sind. Seine dokumentarische Illustration belegt zugleich, wie weit die Szene sich von den klassischen „komischen Streifen" entfernt hat. In den Hochburgen des Comics Belgien, Frankreich, Nordamerika und Kanada läst sich schon seit einigen Jahren eine Tendenz zu biografischen und gesellschaftskritischen Themen beobachten.

Formal am klassischsten mutet in der hochkarätig besetzten Ausstellung noch die Arbeit „Wer bleibt – Comicreportage aus Halle-Neustadt" von Ulli Lust an. Die Zeichnungen der Berlinerin beruhen auf ausführlichen journalistischen Recherchen, die wie ihre Reportage über Halle-Neustadt auch ganz alltägliche Beobachtungen einschließen.

Vom Alltag in Halle-Neustadt bis zur Chinareise

„Das uramerikanischste Beinkleid von allen, die Jeans, hat Neustadt ganz und gar erobert. Die Röhrenjeans, die gerade in Berlin und London so en vogue ist, tragen hier die 30- bis 50-jährigen gerne mit Jeansjacke, was immer ein wenig verwegen wirkt", lautet beispielsweise der Text zum Bild eines Kinderwagen schiebenden Pärchens. Fast schon malerische Qualitäten haben dagegen die Tuschearbeiten von Pierre Thomé, die auf einer Chinareise entstanden sind. Mit leichtem kalligraphischen Strich skizziert der Leiter des Studienbereiches Illustration an der Luzerner Hochschule für Gestaltung und Kunst seine Eindrücke.

Im Zeitalter moderner Medientechnologie verlassen die oft mit Chiffren arbeitenden Zeichnungen auch schon mal das konventionelle weiße Blatt. „Die Natur ist nicht schlecht, nur voll" titelte beispielsweise Oliver Grajewski seine wandfüllende Projektion, in denen er die Mythen der Alltagskultur und Werbung aufgreift. Seltsame Monster, „Kackmännchen", Castor-Gegner, stürzende Pferde und Schlagersänger bevölkern die über 100 Sequenzen umfassende Serie. Grajewski ist Absolvent der Berliner Hochschule für Bildende Künste und Herausgeber der Heftserie „Tigerboy". Außerdem veröffentlicht er in der Süddeutschen Zeitung, der Berliner Zeitung und der taz.

Der Berliner Zeichner Kai Pfeiffer ist einer der Pioniere der Comicreportage im deutschen Sprachraum. Auf kitschig rosa eingefärbtem Hintergrund tummeln sich seine Kaffeetassen, Kellner und skurrilen Gäste wie in einem typischen Wiener Kaffeehaus. Sein Stimmungsbild hat Pfeiffer mit O-Tönen unterlegt. Als die ersten Gäste beim Wein einschlafen und übermüdete Kellner zu gähnen beginnen, wird auch der Sound immer mechanischer und drängender: Die plüschige Behaglichkeit wird zur klaustrophobischen Beklemmung.

Eva Mayer

Jenseits von Mickey Mouse und Tim & Struppi

Eine Ausstellung mit Comics? Das ist nicht gerade das, was man normalerweise als Ausstellungsobjekt erwartet. Doch wer dabei an Micky Maus oder Tim & Struppi denkt, der wird enttäuscht. Denn in dieser Ausstellung wird die Comic-Zeichnung lediglich als stilistisches Mittel verwendet, als „künstlerisches Medium zur bildhaften Umsetzung des Gesehenen".

„Reportage-Comics", so heißt das neue Ausstellungsprojekt des Künstlerhauses „zeitraum_ex!t" in Mannheim, das mit seinem jährlichen Festival, welches seit 2004 den Namen „Wunder der Prärie" trägt, schon vielen international bekannten Künstlern eine Plattform bot.

Gezeigt werden knapp zwei Monate lang in den leeren Räumen des ehemaligen Gesundheitsamtes Mannheim in L1, 1 Zeichnungen, Animationen sowie diverse Skizzen aus Reisetagebüchern der aus Deutschland und der Schweiz stammenden Künstler Pierre Thomé, Yves Noyau, Ulli Lust, Oliver Grajewski und Kai Pfeiffer.

Die Arbeit der Künstler zeigen, dass Comics, die oft lediglich durch ihre kommerziellen Varianten bekannt sind, viel mehr sein können als nur Unterhaltung. Beispielsweise die „Comic-Reportage" von Ulli Lust, die reale Menschen in Halle-Neustadt zum Thema Auswanderung von Ost- nach West-Deutschland befragte und danach ihre Eindrücke dokumentarisch einem „klassischen" Comicstrip mit aufeinander folgenden Zeichnungen und dazugehörigem Text umsetzte.

Ganz anders Kai Pfeiffers Flash-Animation „Wien: Im Kaffehaus – Bericht einer Reise im Sitzen", die dem Betrachter nur Fragmente von Pfeiffers Eindrücken bietet und die (ohne Text) mit kaffeehaustypischen Geräuschen untermalt wird. Oder Oliver Grajewskis tagebuchartige Aufzeichnungen, die durch einen, nicht gleich auf den ersten Blick erkennbaren Sarkasmus bestechen und den Betrachter erstaunen, indem beispielsweise eine Palme des ersten Bildes schon mal zum Seitenrand des übernächsten mutiert.

Jeder der hier ausgestellten Künstler hat einen eigenen Schwerpunkt und einen ganz individuellen Blick auf seine Umwelt, die er reflektiert und dokumentiert und gerade das macht auch den Reiz der Ausstellung aus. Tilo Schwarz, der Kurator der Ausstellung, hat die Werke trotz der provisorisch anmutenden Umgebung, die ihren ganz eigenen Charme ausstrahlt, gut in Szene gesetzt. Doch es bleibt zu hoffen, dass die neuen Räumlichkeiten von „zeitraum_ex!t", die wohl erst im Frühjahr nächsten Jahres bezogen werden können, mehr Platz bieten für weitere Grenzgebiete eines Genres.

(Von Johanna Klosinski)
Rhein-Neckar-Zeitung 04.12.06